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Nochmal NSU Prozess: Jetzt ist guter Rat teuer

Juni 2015, Schloss Ermreuth

Beate Zschäpe will reden, aber nur wenn sie ihre Pflichtverteidiger, oder doch wenigstens die in den USA geborene Rechtsanwältin Anja Sturm loswerden kann.

Jetzt hat Richter Götzl ganz unerwartet, kurz bevor der Frosch ins Wasser hüpfen sollte, ein echtes Problem bekommen. Alle Prozessbeteiligten hatten sich schon auf ein Prozessende im Juli dieses Jahres vorbereitet. Daraus wird nun wohl nichts werden.

Richter Götzl befindet sich plötzlich in einer verzwickten Lage. Jetzt rächt sich, dass er den Prozess trotz ungenügender Beweislage eröffnet hat. Er kann diesen Entschluss bereuen aber nicht rückgängig machen. Er hätte damals zu den Ermittlungsbehörden sagen können: „Was mir hier vorgelegt wird, reicht mir nicht. Ihr müsst weitere Ermittlungen durchführen und stichhaltige Beweise vorlegen, die einen hinreichenden Tatverdacht vernünftig begründen können.“ Das hat er im vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem politischen Establishment nicht getan. Jetzt muss er die selbst eingebrockte Suppe auslöffeln.

Nur ein Augur kann jetzt sagen, wie sich Götzl entscheiden wird, aber über das ihm zur Verfügung stehende Repertoire können wir reden.

Folgende Varianten stehen ihm zur Verfügung:

  1. Sofort einstellen.
  2. Weitermachen wie gehabt, mit der gleichen Besetzung der Verteidigung.
  3. Dem Antrag der Angeklagten statt geben und die Verteidiger austauschen.

Er könnte jetzt die Gelegenheit beim Schopfe packen und das Verfahren einstellen. Und zwar mit der Begründung, dass ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nun endgültig nicht mehr durchführbar ist. Nicht mehr durchführbar deshalb, weil die beispiellose, massive außergerichtliche Einflussnahme und die Prozess begleitende massenmediale Vorverurteilung der Angeklagten nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen ist und auch deshalb, weil es den Pflichtverteidigern nicht gelungen ist, zur Angeklagten ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Damit könnte er sich geschickt aus der Affäre ziehen, denn er ist ja nicht schuld an der außergerichtlichen Verurteilung. Allerdings könnte man ihm vorwerfen, dass er das Verfahren nicht schon viel früher eingestellt hat. Aber diesen Vorwurf könnte er leichter überstehen, als eine Weiterführung der Verhandlungen unter Beibehaltung der von der Angeklagten abgelehnten Pflichtverteidiger. Diese Variante würde ein Urteil in der Revisionsinstanz zum Kippen bringen. Also keine gute Lösung. Das ist die formaljuristische Seite, aber daneben gibt es auch noch das nicht zu unterschätzende Bedürfnis der Geschädigten und deren Anwälte, von der Angeklagten endlich etwas zu hören. Diese einflussreiche Interessengruppe wird sich mit einer Entscheidung, die ein weiteres Schweigen der verhassten „Nazi-Hexe“ zur Folge hat, nicht zufriedengeben.

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(German Finsterling in the Kitchen of his Castle, 2015)

Gibt Richter Götzl dem Antrag der Angeklagten statt, dann würde das, falls alle drei Verteidiger von ihrer Aufgabe entbunden werden bedeuten, dass „alles“ nochmal von vorn bis hinten durchgekaut werden muss. Das würde viele neue Unwägbarkeiten mit sich bringen. Wer weiß, wie sich vor langer Zeit vernommene Zeugen bei einer neuen Einvernahme äußern werden? Besonders wenn ein neuer, vielleicht etwas fähigerer Anwalt in die Arena steigt?

Den Vertretern der Anklagebehörde dürfte klar sein, dass für sie ein geändertes Aussageverhalten der Angeklagten das größte Risiko bedeuten würde. Bisher verfügt das Gericht nicht über ernst zu nehmende Beweismittel, die zur Verurteilung von Beate Zschäpe führen könnten, jedenfalls dann nicht, wenn nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfahren würde. Wenn nun die Angeklagte, von der man bisher nichts gehört hat, vor Gericht aussagen würde und sie es verstünde, sich einigermaßen geschickt zu verteidigen, dann könnten der Staatsanwaltschaft die letzten kümmerlichen Fellreste ihres bisher nicht tragfähigen Verdachtsbündels auf Nimmerwiedersehen davonschwimmen. Stattdessen könnten im Zusammenhang mit der Affäre Temme auf der sorgfältig erzeugten stinkigen Verdachtsbrühe noch weitere unverdauliche Brocken daher geschwommen kommen.  

Ganz davon abgesehen, dass die Angeklagte, falls Ihr Antrag abgelehnt wird, sofort einen Befangenheitsantrag stellen kann. Das macht sich dann im Revisionsverfahren auch nicht besonders gut.  

Nun muss man abwarten, um zu sehen, ob Richter Götzl souverän und klug, oder eben das Gegenteil ist. Dabei darf man auch nicht vollkommen außer Acht lassen, dass Götzl zwar seine Kammer im Griff hat, seine Beisitzer aber doch auch nicht so ohne weiteres übergangen werden können, denn wenn das Boot kentert, saufen sie auch mit ab.

(Ein Beitrag von Karl Heinz Hoffmann)