Die geistigen Wurzeln der BRD und das Oktoberfestattentat, Teil 2
27.9. 1980, 20 Uhr: ARD
In der staatsoffiziellen westdeutschen Tagesschau wird über den Anschlag auf das Oktoberfest berichtet:
Der Fernsehzuschauer wird zunächst mit dem Ur-Motiv staatlicher Desinformation, dem Fund eines „Terroristen-Ausweises“ am Tatort, konfrontiert. Dann eröffnet sich ein Widerspruch: Generalbundesanwalt Rebmann gibt vor, keine Gründe für seine Übernahme des Ermittlungsverfahrens nennen zu wollen, weil dies nicht zu verantworten sei. Gleichzeitig steht aber die Information im Raum, der Besitzer des gefundenen Ausweises sei Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann gewesen. Die Geheimhaltung von Rebmanns Übernahmemotiv müsste also sinnlos gewesen sein.
Im weiteren Verlauf der Sendung ist vom Krieg zwischen dem Iran und dem Irak die Rede, vom Bestreben der USA, Ölpipelines durch den Nahen Osten zu sichern (die neu eingesetzte türkische Militärregierung kündigt einen Kampf gegen den Terrorismus an), von Verhandlungen, die Jassir Arafat mit dem Iran führt und vom Rücktritt einer italienischen Regierung wegen gescheiterter Wirtschaftsreformen; im Hintergrund wird von gerade noch verhinderten Massenentlassungen bei Fiat berichtet. Die Linke hat die Koalition faktisch aufgekündigt.
Was der brave westdeutsche Fernsehzuschauer nicht wissen kann oder will:
Tatsächlich erkennen wir hinter diesen Nachrichten eine Reihe von geheimdienstlichen Operationen, von denen wir bis heute nur wissen, dass sie mit der Verschleierung der Hintergründe des Attentats von Bologna, mit Nahostpolitik, italienischer und deutscher Innenpolitik und mit der zielgerichteten Verleumdung der Wehrsportgruppe Hoffmann zu tun haben. Die konkreten Zusammenhänge können nur teilweise beweisfähig gemacht werden.
Am 18. September, also nach dem Anschlag von Bologna, aber noch vor dem Oktoberfestattentat, hatte der Fatah-Führer Abu Iyad der italienischsprachigen Schweizer Tageszeitung „Corriere del Ticino“ ein Interview gegeben. In diesem Interview stemmt sich der Fatah-Mann gegen eine Medienkampagne in Italien, die den Anschlag in Bologna der Linken zuschreiben will. Abu Iyad scheint über Informationen zu verfügen, die italienische Faschisten mit dem Massaker in Verbindung bringen.
(Abu Iyad, 1971)
Diese Information sind, wie wir heute wissen und wie es Konsens in der historischen Forschung ist, grundsätzlich richtig. Tatsächlich ist das Attentat von Bologna von Strukturen zu verantworten, die sowohl mit neofaschistischen als auch mit geheimdienstnahen Organisationen in Verbindung stehen.
Abu Iyad muss seine Informationen im Interview allerdings legendieren, das heißt, er muss sie so vortragen, dass ihre Herkunft nicht mehr erkennbar ist. Das tut er, indem er fälschlich vorgibt, die Informationen aus dem Umfeld von Karl Heinz Hoffmann bekommen zu haben, dessen Leute bei der Vorbereitung des Attentats von Bologna zugegen gewesen seien. Da sich die Fatah sowieso öffentlich von den „deutschen Rechtsextremisten“ distanziert, wird Hoffmann hier nach außen praktisch als das Leck einer staatsterroristischen Organisation dargestellt.
(Interview mit Abu Iyad vom 18. September 1980, „Corriere del Ticino“)
Natürlich stürzen sich die westlichen Geheimdienste auf diesen Artikel und versuchen, seinen Wahrheitsgehalt festzustellen. Sagt Abu Iyad die Wahrheit? Ist hinter der Legendierung der Information die Quelle identifizierbar?
Der BND entwickelt ein zwiespältiges Verhältnis zu dieser Meldung; einerseits weiß man sehr genau, dass Abu Iyad eine Legende vorgetragen hat. Andererseits scheint der Fatah-Mann Informationen über die wahren Hintergründe des Anschlags in Bologna zu besitzen, die nichts mit den Lügen der italienischen Presse über einen linksextremistischen Anschlag zu tun haben und die italienische Linke entlasten.
Zu allem Überfluss kommen plötzlich israelische Agenten und „unterfüttern“ die Schwindelei von Abu Iyad mit angeblichen eigenen Beobachtungen. Man ist also hin- und hergerissen. Auf der Sachebene gibt es aber keine Probleme; man weiß sehr genau, was Legende und was seriöse Information ist:
(BND: Abschließendes Lagebild zur Frage einer möglichen Verwicklung der WSG-Ausland in Falange-Aktivitäten, November 1980. Noch 2015 spielt der BND dem deutschen ZDF gegenteilige Informationen zu)
Durch diesen Zwiespalt ist also kurz vor dem Oktoberfestattentat die folgende Situation entstanden:
– Die westlichen Geheimdienste müssen fürchten, dass Abu Iyad, womöglich über östliche Dienste, über die tatsächlichen Hintergründe des italienischen Staatsterrorismus Bescheid weiß,
– Karl Heinz Hoffmann steht vor den westlichen Geheimdiensten als mögliche Quelle Abu Iyads da und kann im Libanon nicht mehr im ursprünglichen Sinn vom BND sabotiert werden (Udo Albrecht sitzt in der BRD in Haft),
– der BND weiß zwar, dass Abu Iyads Darstellung sachlich falsch ist, bekommt aber Druck von den Israelis, die demonstrativ den Unsinn „beglaubigen“ und damit als Linie der Informationspolitik vorgeben.
Am 26. September, also nur eine Woche nach dem fraglichen Interview, findet das Oktoberfestattentat statt. Die Kriminalisierung oder physische Ausschaltung Hoffmanns würde diesen als mögliche Quelle Abu Iyads erledigen. Zudem wäre dadurch das Problem der aus dem Ruder gelaufenen WSG-Ausland gelöst und Hoffmann als politisches Ärgernis in der BRD beseitigt.
Der BND „füttert“ also Generalbundesanwalt Rebmann und Minister Baum mit einer Bestätigung jener Informationen, von denen man längst weiß, dass sie falsch sind, und Rebmann steigt damit ins Fernsehen.
Die Motivlage der westlichen Geheimdienste verdichtet sich; wenn die Verantwortlichen noch leben, dürfen sie sich ertappt fühlen.