Belastungszeuge auf freiem Fuß: Der Sprengstoff III
Juni 1985, Nürnberger Landgericht, Sitzungssaal 600
Im Prozess gegen Karl Heinz Hoffmann wird der Zeuge Hans Peter Fraas vernommen, jener junge Mann, der als ehemaliges Mitglied der WSG an Hoffmanns Libanon-Projekt teilgenommen, ihm im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Oktoberfestanschlags Sprengstoff in Ermreuth vorbeigebracht und diesen vor Ort eingemauert hatte. Der junge Mann erblickt den ehemaligen „Chef“, er ist seit Jahren in Haft und trägt jetzt einen ausladenden Vollbart, auf der Anklagebank an genau jenem Platz, den knapp 40 Jahre zuvor Hermann Göring eingenommen hatte.
Fraas hatte nach seiner Rückkehr aus dem Libanon im Jahr 1981 harte Vernehmungen zu erdulden gehabt und dabei Hoffmann schwer belastet. Insbesondere hatte er den Eindruck erweckt, den zur Zeit des Attentats von ihm selbst gebrachten und versteckten Sprengstoff nicht gekannt zu haben; Hoffmann habe ihn, Fraas, dazu aufgefordert, den ihm unbekannten Sprengstoff zu verstecken:
(Vernehmungsprotokoll Fraas aus dem Winter 1981)
Trotz einer Anklage wegen des berüchtigten § 129a, also des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, war Fraas allerdings im Gegensatz zu seinen ehemaligen Kameraden der WSG Ausland auf freiem Fuß geblieben. Ob es sich dabei um ein Entgegenkommen angesichts der Hoffmann belastenden Eigenschaften seiner Aussagen gehandelt hatte oder dieser Umstand ganz anderen Rücksichten geschuldet war, muss an dieser Stelle offen bleiben.
(Ladungsanschrift von Fraas: Privatadresse, keine Haftanstalt)
Bei jener Vernehmung hatte Fraas gezielt von seiner eigenen Person als ungebetenem und verhängnisvollem „Lieferanten“ des Sprengstoffs abgelenkt und, wie später gerichtlich festgestellt werden sollte, eine Reihe von belastenden Momenten gegen Hoffmann erfunden, aus zunächst nicht näher bestimmbaren Gründen.
(Vernehmungsprotokoll Fraas aus dem Winter 1981)
in jenem Sommer 1985 wird Fraas vor Gericht noch einmal zu der Sache vernommen. Dabei übernimmt Hoffmann das Verhör selbst; er befragt den ehemaligen Wehrsportler und Schützling, dem er im Herbst 1980 vermeintlich „aus der Patsche geholfen“ und dessen Sprengstoff er verstecken lassen hatte und konfrontiert ihn mit einer Reihe von für ihn unangenehmen Tatsachen.
Nach den Angaben des Fraas hatte diesen unter anderem ein nicht näher bekannter Mensch namens Hoppe in den 70er- Jahren mit einigen Grundlagen des Umgangs mit Explosivstoffen vertraut gemacht. Von diesem Herrn war später vor Gericht oder in der Presse nicht mehr die Rede.
Im Verlauf der Vernehmung des Schlossergesellen Fraas muss das Gericht dessen Glaubwürdigkeit erheblich in Zweifel ziehen. Die alten Vorwürfe aus den Vernehmungen des Winters 1981 lösen sich weitgehend in Luft auf; die eigene Rolle bei der Anlieferung des Sprengstoffs kommt ans Licht und der Zeuge muss seine vor Gericht zunächst mit ungebrochener Chuzpe vorgetragenen Falschaussagen Stück für Stück zurücknehmen.
(Vorsätzliche Falschaussage von Fraas, 1985)
Jene Falschaussagen, die man im Winter 1981 vielleicht noch dem Verfolgungsdruck des drohenden § 129a zuschreiben hätte können, werden also Jahre später vor Gericht ohne Not wiederholt. Jene Jahre waren für Fraas auch mit einer kriminellen Tätigkeit im Bereich der so genannten Hepp-Kexel-Gruppe angefüllt gewesen, an deren Ende die Verhaftung im Frühjahr 1983 samt anschließender Verurteilung wegen Banküberfällen und Sprengstoffverbrechen gestanden hatte. Welche Motive Fraas dazu bewogen haben mögen, seine Lügen zu wiederholen, muss an dieser Stelle ebenfalls zunächst ungeklärt bleiben.
Die zahllosen Falschaussagen noch Jahre später vor Gericht beinhalteten auch Behauptungen, die in die Richtung von Mordaufträgen durch Hoffmann gingen, vom „Zeugen“ jedoch selbst zurückgenommen werden mussten.
Das Gericht kam schließlich, neben der Herausstellung des Umstands, dass die festgestellten Falschaussagen nicht mehr durch den früheren Verfolgungsdruck zu rechtfertigen gewesen seien, zu folgender Einschätzung, die Glaubwürdigkeit des Zeugen Fraas betreffend:
(Urteil des Landgerichtes Nürnberg in der Sache Hoffmann, 1986)
Zusammenfassend muss also die Frage gestellt werden, wie es sein konnte, dass dieser junge Mann im zeitlichen Umfeld des Oktoberfestanschlags beim zunächst öffentlich unter Einsatz der Massenmedien zentral Verdächtigten Sprengstoff ablädt, diesen dann unter Zustimmung Hoffmanns auf Schloss Ermreuth dauerhaft versteckt, um ihn dann unter erhöhtem Verfolgungsdruck, wenngleich unüblich auf freiem Fuß, vollständig Hoffmann anzulasten und dieser Zeuge dann Jahre später, ohne Not, vor Gericht, diese Falschaussagen wiederholt, bevor er der Lüge überführt werden kann.
Aus der historischen Erfahrung mit den üblichen geheimdienstlichen Methoden im Umfeld schwerwiegender terroristischer Straftaten ergibt sich allerdings noch eine weitere Frage: Warum gibt die bundesdeutsche Regierung 35 Jahre nach einem solchen Anschlag die V-Mann-Akten zur WSG nicht heraus?
(Der ehemalige WSG-Mann Fraas im Gelände, um 1978)
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