Betamax im Deutschen Herbst: Begegnung zwischen Hoffmann und Kühnen
Nürnberg, um den 16. Oktober 1977
Ich war mit Michael Kühnen und einem Trupp von insgesamt acht Leuten aus Norddeutschland unterwegs, um an einer von Manfred Roeder geplanten Veranstaltung in Nürnberg teilzunehmen; Thema war der 16. Oktober 1946, Tötung der letzten Mitglieder der Reichsregierung in Nürnberg.
Unter den genannten acht Personen waren außer Kühnen und mir nach meiner Erinnerung: Tibor Schwarz (der Hoffmanns Puma beinahe irrtümlich auf den Kopf gepinkelt hätte), Lutz „Butschie“ Wegner, der sich erst kurz danach mit Schulte zusammen schloss, um militante Aktionen zu unternehmen, Mitte Oktober aber noch zu Kühnens Gruppe gehörte, sowie ein damals aktiver Kamerad namens Wolfgang Behrens.
(Michael Kühnen, 1955-1991)
Behrens war ein bisschen älter als der Rest von uns (wir waren alle Anfang 20, konkreter gesagt: Kühnen 22, ich damals 21, Schwarz meiner Erinnerung nach ein Jahr jünger als ich, Lutz Wegner gleichaltrig mit mir). Behrens war damals Anfang 30 oder so.
Irrigerweise sprach Hoffmann ihn zuerst als den Gruppenführer an, und als Behrens und Kühnen den Irrtum aufklärten, bemerkte Hoffmann erklärend, man neige halt in einem Kreis junger Leute dazu, zunächst einmal den rund zehn Jahre älteren Mann für den Anführer zu halten.
(Wie schon aus dem Vornamen ersichtlich, ist der hier genannte Wolfgang Behrens ist nicht identisch mit Uwe Behrendt; Anm. Hoffmann)
Das Treffen war folgendermaßen zustande gekommen:
Wir hatten an dem Tag eine unangemeldete öffentliche Kundgebung vor dem Nürnberger Justizpalast, wo der Nürnberger Prozess stattgefunden hatte und später, am 16. Oktober 1946, auch die erwähnten Hinrichtungen. Die Veranstaltung wurde zeitweilig von der Polizei unterbrochen, die unsere Personalien feststellte. Außer den genannten acht Aktivisten waren noch Edgar Geiß und seine Frau Lilo dabei, sowie der etwas ältere Aktivist Einhart Werner.
Nach unserer Veranstaltung wurden wir von zwei sehr korrekt auftretenden und sympathisch wirkenden jungen Männern (auch etwa Anfang bis allenfalls Mitte zwanzig) angesprochen, die sich uns gegenüber als Mitglieder der WSG zu erkennen gaben und uns nach Heroldsberg einluden; soweit ich mich erinnere, unter Berufung auf Hoffmann und nicht aus eigener Initiative, aber das kann ich nicht mehr hundertprozentig genau sagen.
Wir sind der Einladung gefolgt; ausgenommen Einhart Werner, Edgar Geiß und seine Frau Lilo. Die Einladung beinhaltete auch eine Übernachtung in Ihrem „Mannschaftsquartier“ im Keller oder Souterrain von Hoffmanns Haus in Heroldsberg.
(Plakat der WSG, 1978)
Anlässlich dieses Treffens gab es ein mehrstündiges Gespräch zwischen Michael Kühnen und Hoffmann. Mehrstündig heißt in diesem Fall – nach meiner Erinnerung – mindestens zwei Stunden, möglicherweise drei Stunden, aber wahrscheinlich unter vier Stunden. Es fand in einer Art Arbeitszimmer statt, das allerdings groß genug war, außer Hoffmann auch uns acht Platz zu bieten.
Soweit ich mich erinnere, war keiner von Hoffmanns Männern dabei; dabei war Hoffmann und wir acht.
Nachdem Behrens und Kühnen klargestellt hatten, dass nicht Behrens unser Gruppenführer war, sondern Kühnen, fand das Gespräch so gut wie ausschließlich zwischen Kühnen und Hoffmann statt. Wir anderen hielten uns völlig da heraus.
Zwischen Kühnen und mir war das stehende Procedere: Er nannte mich gelegentlich „sein Zusatzgehirn“. Ich schaltete mich in politische Gespräche, die er führte, grundsätzlich nur ein, wenn er mir ein Zeichen dafür gab oder wenn ich von den anderen Gesprächsteilnehmern dazu aufgefordert wurde.
Mir ist von diesem Gespräch politisch erinnerlich, dass Hoffmann Kühnens Vorstellungen, den klassischen (Hoffmann sagt gern auch: orthodoxen) Nationalsozialismus wiederzubeleben, abgelehnt hat. Einprägsam war für mich, dass Hoffmann erwähnte, er persönlich würde, wenn er denn die Wahl hätte, am liebsten im (wilhelminischen) Kaiserreich gelebt haben.
(Ich erinnere mich genau. Ich hatte mich gegen überspitzten Nationalismus gewendet. Wörtlich: „Ein Nationalgefühl wie beim Kaiser, würde mir vollauf genügen.“ Das betraf aber nur das kollektive National-Gefühl des Staatsvolkes . Daraus darf nicht geschlossen werden dass ich mir etwa die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse des Kaiserreiches zurück gewünscht hätte, Anm. Hoffmann)
Offensichtlich zog Hoffmann der Umstand an, dass es sich damals um eine durchmilitarisierte Gesellschaft gehandelt hat, die aber auf der anderen Seite durchaus bürgerliche Freiheiten gewährte. Hoffmanns Barttracht, die an die von Wilhelm zwo erinnerte, erschien mir als ein rein optisches bzw. modisches Bekenntnis in dieser Hinsicht.
Gelegentlich dieses Gesprächs dokumentierte Hoffmann uns übrigens, dass die beiden Leute, die uns nach der Aktion vor dem Justizpalast angesprochen hatten, die ganze Aktion verdeckt gefilmt hatten. Dabei hatten sie eine Kamera benutzt, die unter dem Fahrzeug montiert gewesen war. Hoffmann demonstrierte uns dies, indem er die Filmaufnahmen vorführte.
Dies geschah in einer damals wohl sehr modernen Form über einen Fernsehbildschirm. Es war auf jeden Fall kein Super-8-mm-Film o.ä., der einen Projektor und Verdunkelung erforderte. Wenn es Video war, dann war es eine für Ende 1977 ausgesprochen fortschrittliche Technik. Das fand ich beeindruckend.
Wir haben dann in dem besagten Mannschaftsquartier übernachtet.
Das Gespräch zwischen Kühnen und Hoffmann fand ich höchst interessant. – Mein damaliger Informationsstand war, dass er „rechts“ gewesen sei.
(Ein Zeitzeugenbericht von Christian Worch)