Oktoberfestattentat und europäische Überwachungsunion: Cui Bono?
7. Oktober 1980, Innenministerium Bonn
Innenminister Gerhart Baum wird von seinen Referenten Siegele und Heel, zwei Männern, die vor der Pensionierung auf europäischer Ebene noch schöne Karrieren hinlegen sollten, über das Oktoberfestattentat gebrieft. Die beiden schmieren Baum hemmungslos an, erzählen ihm etwa, es sei immer noch nicht geklärt, ob Hoffmann im Libanon nun bei der Falange oder der Fatah aktiv sei. Gundolf Köhler wird in dem schriftlichen Briefing wider besseres Wissen als Schwuler diffamiert und es werden unhaltbare Behauptungen zu angeblichen Nachweisen seiner Täterschaft aufgestellt. Siegele und Heel desinformieren also den Minister.
Entgegen dem Klischee, ein Terroranschlag diene einem NATO-Staat stets zur Verschärfung der Gesetzeslage im Inneren, machen die beiden dem Minister ausgesprochen alberne Vorschläge für gesetzgeberische Reaktionen:
(Briefing für Innenminister Baum, PI 2/15 3-626 632/6)
Himmel, mag sich Baum da gefragt haben, was wollen die, und versieht die zweifelhaften Vorschläge mit gleich zwei Fragezeichen. Und auch der heutige Leser, voreingenommen durch die Lektüre des fehlbaren Daniele Ganser, fragt sich womöglich, welchen Sinn solche Maßnahmen haben sollen. Importe von Hakenkreuzen? Eine noch konsequentere Verhinderung von „Mein Kampf“?
Welche Art von Blödsinn soll das sein?
(Zwei Beamte weisen den Minister ein)
Irgendwie geht da die Rechnung nicht auf; Baum, der Erzliberale, dem die Massenüberwachung damals schon suspekt war, den konnte man mit einem Terroranschlag im Gefolge der RAF-Zeit kaum noch zu Gesetzesverschärfungen bewegen. Sicher, zu ungerechten und harten „symbolischen Aktionen“ mit verheerenden Folgen für seine politischen Gegner, dazu schon. Aber ihn würde man nicht „um mehr Sicherheit bitten“, wenn es kracht. So einfach nicht.
(Briefing für Innenminister Baum, PI 2/15 3-626 632/6)
Im Briefing taucht dann wenig später ein Hinweis darauf auf, dass man im Innenministerium bereits Schritte dazu eingeleitet habe, bei der nächsten TREVI-Konferenz einen Tagesordnungspunkt „Rechtsextremistischer Terrorismus“ anzumelden. TREVI, das ist der Versuch der Europäischen Gemeinschaften, ab Mitte der 70er-Jahre so etwas wie eine Harmonisierung der europäischen Sicherheitspolitik auf der Ebene der Inneren Sicherheit zustande zu bringen. Unter der Flagge der Terrorismusbekämpfung wird ein europäisches Netzwerk zum Austausch sicherheitsrelevanter Daten vorbereitet.
Im Grunde geht es hier um eine europäische Politik der Inneren Sicherheit; und das Gremium sollte sich noch Jahrzehnte damit abmühen, die Hemmungen der Nationalstaaten bei diesem Schritt der „Einigung“ zu überwinden. Da braucht es kräftige Impulse, mag sich der Leser denken. Einen Franzosen 1980 dazu zu bringen, die Fragen der Inneren Sicherheit mit einem Italiener zu besprechen… und erst einen deutschen Liberalen dazu zu bringen, sicherheitsrelevante Daten über Deutsche international weiterzugeben… außer an die USA…
(Briefing für Innenminister Baum, PI 2/15 3-626 632/6)
Der Leser mag sich jetzt wieder fragen: Bei aller Wertschätzung, aber was soll das? Die Briten? Ausgerechnet der Mann von Scotland Yard soll die Männer aus dem Schwarzwald kennen, wenn sie Hakenkreuze importieren? Freilich, zu der Tagung war bereits vor dem Anschlag eingeladen worden; nur hätte man vielleicht die Frage beantworten müssen, warum der erzliberale Innenminister Baum oder seine Abgesandten vom BfV bei der Gelegenheit zustimmen hätten sollen, die eigenen Bürger an die Briten zu verpfeifen. So, nach dem vorgeblich erschütternden rechtsterroristischen Anschlag, ist das natürlich etwas anderes.
Dass es gar kein rechtsterroristischer Anschlag war, steht auf einem anderen Blatt.
(Briefing für Innenminister Baum, PI 2/15 3-626 632/6)
Innenminister Baum zeigt auch glatt die integrative Reaktion, die man von ihm erwartet; prompt phantasiert er von einer europäischen Innenministerkonferenz. Dass der NATO-Spezialausschuss sich mit der Frage des Rechtsterrorismus befassen wird, erscheint da schon fast selbstverständlich. Das Ganze fügt sich in diesem Briefing zu einer schön integrativen Sauce, in der der europäische Datenaustausch im Begriff ist, Fortschritte zu machen, natürlich unter Aufsicht der NATO.
Man fragt sich, freilich: Mit welchem Rechtsterrorismus? Mit dem NATO-Terrorismus von Bologna? Mit dem heillos verpfuschten Anschlag von München? Oder womit sonst kann hier das Gespenst des Rechtsterrorismus an die Wand gemalt werden?
(Briefing für Innenminister Baum, PI 2/15 3-626 632/6)
Ach ja, mit dem Rechtsextremismus in Belgien. Belgien, dieser zum Zeitpunkt des Briefings bereits seit Jahrzehnten verrottete Dreckstaat, ist zwar bis heute voll mit rechtsradikalen Spinnern. Dass der dortige Rechtsextremismus aber spezifische Formen annehmen würde, ist für einen deutschen Innenminister so bedeutend wie das von Gundolf Köhler liebevoll renovierte Eidechsenbrünnlein zu Donaueschingen. Es spielt einfach keine Rolle, was sich die Landeier in Belgien ausdenken.
Wenn auch die prophetische Gabe der beiden Beamten an dieser Stelle des Briefings durchaus zu beeindrucken vermag.
Terrorakte gegen anonyme Ziele. Was wollen uns die beiden damit sagen? Wohin wollen sie den Herrn Erzliberalen abführen, welchen Ideen soll er begeistert zustimmen?
Der Bekämpfung des Sprachenstreits in Belgien wohl kaum.
Dem weiteren Ausbau des TREVI-Gremiums, an der nationalen Gesetzgebung vorbei, auf höherer Beamtenebene, unter informeller Einbeziehung der Geheimdienste? Bis es schließlich zu europäischen Verträgen kommt und die nationalen Bedenken, auch der Liberalen, nur noch lächerlich sind? Also dem, was dann auch gekommen ist?
(Der Minister ist selber schuld)
Beamte können alles. Selbst versteckte Drohungen sind ihnen nicht fremd; und strotzen dabei auch noch vor Harmlosigkeit. Und so schließt das Briefing denn auch mit einem guten Witz, der freilich nicht ganz harmlos ist. Ohne erkennbaren Sinn wird der Rechtsanwalt Schöttler, einst Verteidiger des Udo Albrecht, erwähnt. Nun sei er der Rechtsanwalt des Manfred Roeder, teilt man mit.
(Briefing für Innenminister Baum, PI 2/15 3-626 632/6)
Dem BKA wird wohl tatsächlich nichts über das Gespräch bekannt sein; dem BND halt schon, mag der Leser denken und sich fragen, welchen Sinn es haben sollte, dem Erzliberalen eine Andeutung dazu zu machen, dass der ganze Sumpf eh unterwandert ist.
Einschüchterung und Europäische Einigung.