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Die Sprache der Kalaschnikow: Ganz normale BND-Gespenster um 1980

Mai 1980, Lager Bir Hassan

Sofort nach ihrer Ankunft haben die Mitglieder von Hoffmanns kleiner Kampfgruppe zwei Zelte im Lager Bir Hassan bezogen; dass es genau jene Zelte sind, in denen einige Jahre zuvor der Kern der RAF um Andreas Baader und Ulrike Meinhof ausgebildet worden ist, wissen die jungen Burschen nicht. Die Leute richten sich das Mannschaftszelt her, das zweite Zelt soll zunächst Hoffmann benutzen. Im Lager hält sich auch Udo Albrecht auf, der bei den Palästinensern großes Vertrauen genießt, dennoch aber längst für den BND arbeitet. Er ist stocksauer, weil Hoffmann nicht daran denkt, seinen Führungsanspruch im Libanon-Projekt anzuerkennen.

In der ersten Nacht hört Unterführer Leroy Paul vereinzelt Schüsse; die Männer schrecken auf. Noch verstehen sie die Sprache der Kalaschnikow nicht. Die Araber schießen aus nichtigen Anlässen, meistens in die Luft. Auch bei Hochzeiten oder Streitereien wird geschossen, ohne dass jemand ernsthaft in Gefahr ist. Wenn auf Schüsse kein Gegenfeuer kommt, kann man sich umdrehen und weiter schlafen. Und selbst Granatfeuer aus bestimmten Richtungen ist zu jener Zeit in Beirut kein Grund zur Unruhe, wahrscheinlich tragen ein paar Leute der Baath-Partei ihre Unstimmigkeiten mit einer Nachbarmiliz aus.

Dann kommen vielleicht die Syrer oder irgendwelche anderen Ordnungstruppen mit ihren Panzern und alles ist wieder ruhig.

Auf engstem Raum, wie in einem gefrorenen Häuserkampf, stehen sich in diesem Frühling 1980 viele unterschiedliche Milizen gegenüber. Im Alltag hat man für Beirut einen Modus videndi gefunden, man nutzt gemeinsam bestimmte Straßen, den Flughafen, grenzt sich dennoch bewaffnet ab. Daneben geht das Leben in der geschundenen Stadt weiter, die einmal das Paris des Nahen Ostens gewesen war. Auf dem Gebiet der fortschrittlichen Milizen hat sich sogar so etwas wie eine „westliche“ Jugendkultur gebildet, mit zahlreichen modernen Discos, in denen der DJ Marwan Rahbani den Ton angibt.

Schon am ersten Tag sind die Mitglieder der WSG-Ausland bewaffnet worden. Sie nehmen die Routine des Wachdienstes auf, wie sie es von der alten WSG gewohnt sind. Man hat eine Kalaschnikow ausgefasst, die Standardwaffe der Region, und die kurzen Flaschenhalspatronen haben die Palästinenser auf die kleinen hölzernen Nachtkästchen gelegt. Um den Wachdienst in der ungewohnten, chaotischen Umgebung zu bewältigen, muss die schwerfällige fränkische Zunge wenigstens ein paar arabische Sätze hinbekommen: „Min hunak“ (Wer da?), oder „Irfa a iddik“ (Hände hoch!).

Das Lager Bir Hassan liegt zwischen der schnurgeraden so genannten Airport-Straße, die zum internationalen Flughafen Beirut führt und einem ausgedehnten Dünengebiet. Die Airport-Straße wird von der Syrischen Armee kontrolliert, teilweise von der Fatah und anderen Milizen. Das Meer ist in Reichweite. Über das Gelände des Lagers sind ältere militärische Einrichtungen verstreut; es handelt sich um einen ehemaligen Truppenübungsplatz der libanesischen Armee. Ins Auge springt sofort die große Hürdenanlage, 160 Meter lang, mit hohen Betonhindernissen.

Rasend, wie er ist – schließlich droht sein Plan und der Plan des BND, die WSG-Ausland zu kontrollieren und in den Terrorismus hineinzuziehen, zu scheitern – kann sich Albrecht gegenüber Hoffmann nur mit Mühe freundlich geben. Nachdem Albrecht begriffen hat, dass ihm die Felle davonschwimmen und man zu Hause von seinem Versagen nicht begeistert sein wird, versucht er die kleine Kampfgruppe „hochgehen“ zu lassen. Hoffmann hat sich mit den Palästinensern direkt abgesprochen, dem BND droht die Sache zu entgleiten. Das muss unbedingt verhindert werden.

Findig, wie er ist, versucht Albrecht, die im Libanon noch unerfahrenen Männer der WSG-Ausland in eine Falle nach der anderen zu locken. Als besonders lästig erweist sich ein Verhalten, das darin besteht, mitten in der Nacht, bewaffnet und im schwarzen Trainingsanzug wortlos zwischen den Posten hindurch zu den Dünen zu schleichen. Obwohl ihn der diensthabende Peter Hamberger bemerkt und anruft, reagiert Albrecht nicht. Offenbar will er Schusswechsel provozieren. Hamberger sollte später selbst in das Fahrwasser der Geheimdienste geraten, aber davon ist in dieser Nacht noch keine Rede.

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(Bewaffnung der WSG-Ausland: MG aus Wehrmachtsbeständen, Steyr-Mannlicher Präzisionsgewehr, russische Eierhandgranaten und chinesische Stielhandgranaten, Sturmgewehr Kalaschnikow, Pistole Tokarew, Vorderschaft-Repetierflinte, Revolver unbekannter Bauart, Seitengewehr)

Immer wieder gespenstert der BND-Mann auf diese Weise durch das Lager und aus dem Lager. Wenn man dauerhaft nicht handelt, wird Albrecht den Palästinensern erzählen können, dass die Männer der WSG-Ausland zu blöd für den Wachdienst sind; wenn man ihn aufhält, wird man schießen müssen. Unterführer Leroy Paul meldet das Vorkommnis, und man beschließt, Albrecht eine Falle zu stellen.

Nach einem seiner Ausflüge, als er sich schon sicher fühlt, wird er vor der Unterkunft überraschend von den Männern gestellt. Albrechts Überraschung ist groß, und er beschimpft die Leute. Hoffmann folgt ihm mit entsicherter Kalaschnikow ins Zelt, und dort richtet Albrecht die Waffe auf ihn. Da hinter Hoffmann aber auch Paul mit der Kalaschnikow im Anschlag steht, muss sich Albrecht einen demütigenden „Anschiss“ gefallen lassen. Danach herrscht offene Feindschaft, obwohl man sich das in der darauffolgenden Zeit nicht immer anmerken lässt.

Als Albrecht wenig später nach Deutschland fliegen will, übergibt er Hoffmann noch einen Brief für die palästinensische Führung. Den soll Hoffmann selbst übergeben; er enthält die Aufforderung, in Albrechts Abwesenheit das Kommando über die WSG-Ausland zu übernehmen und Hoffmann zu übergehen.

Nachdem man den Brief über einem Teekessel aufgedampft und sich mit den Palästinensern besprochen hat, landet der kleine Liebesgruß des BND aber im Herdfeuer.