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Klassiker der geheimdienstlichen Provokation: Das Märchen vom Bösen Wolf

Ende der 70er-Jahre, Giftküche in der BRD

Wer als Geheimdienst ein Milieu endgültig vergiften und final benutzen will, der pumpt kompromittierendes Wissen in das Milieu hinein. Das schafft nicht nur die Voraussetzungen dafür, dass im Nachgang künftiger entsprechende „Tätermilieus“ ausgemacht werden können; das ermöglicht später auch den Rückgriff auf Legenden, die die offiziellen Lügen über das Staatsverbrechen stützen und die „Aufklärer“ auf Jahrzehnte können.

Immer wieder wird die so erzeugte politisch getränkte Scheinspur, die ja zeitlich vor dem Verbrechen liegt, aufgegriffen und verwurstet; und wenn es dann keine Sachargumente mehr für die kriminalistische Verwendung gibt, heißt es: „aber den Rechtsterrorismus gibt es trotzdem“. Staatliche Provokation und sich widerständig gebende politische Propaganda arbeiten .

Vor diesem drögen theoretischen Hintergrund entfaltet sich unsere heutige Geschichte; es ist die Zeit, in der Golf 1 und im Straßenbild den Ton angeben, die deutsche Jugend sich zu Disco bekehrt und der so genannte Linksterrorismus in der politischen Öffentlichkeit der BRD eine große Rolle spielt. 


(Einband der Broschüre „Das Märchen vom bösen Wolf“)

In dieser Situation verteilen einige scheinbar rechtsgerichtete Menschen im so genannten rechtsextremistischen Milieu der BRD, insbesondere in Süddeutschland, eine liebevoll gemachte Broschüre. Sie trägt den Titel „Das Märchen vom bösen Wolf“ und wird vom BKA sofort als Fabrikat der „Rechten“ identifiziert. bluehost Eine gewisse Verwunderung erregt der Umstand, dass diese Broschüre nicht nur erstaunlich praktikables und witzig vorgetragenes Handlungswissen zum Bombenbau und zur Ausführung terroristischer Verbrechen enthält sondern seine Inhalte und Formulierungen eben nicht von einschlägigen linken Publikationen abgeschrieben sind.

Hinter dem grotesken Jugendstileinband, der kaum als „Tarnung“ funktionieren kann, zumal schon am Einband als Preis für das Heftchen „Eine gelungene Aktion für die Bewegung“ gefordert wird, verbirgt sich ein Konzentrat . Die Sprache des Traktates ist die des unberührbaren Rumpelstilzchens; aus scheinbar sicherer Deckung heraus werden die Sicherheitsbehörden verhöhnt.


(Broschüre „Das Märchen vom bösen Wolf“, Seite 13)

Solche Scherze tragen internen Charakter. Da wird eine Kommunikation entfaltet, die ihre eigenen Formgesetze hat und deren Inhalte dort verstanden werden, wo sich Ermittlungseifer entfalten soll oder eben nicht. Der Milieucharakter dieser Kommunikation kann sehr rein etwa an den so genannten ab 1993 studiert werden (österreichische Briefbombenserie). Der triebhaft wirkende Zynismus und die todsichere Verhöhnung des „Gegners“ verweisen auf spurenfreie Schnittstellen der Kommunikationskanäle und auf eine geheimdienstliche Abdeckung, wohl auch auf , etwa zwischen Geheimdiensten verschiedener Nationen.


(Bekennerschreiben der BBA, Jahresende 1993)

Zurück zur Broschüre vom bösen Wolf. Diese Broschüre findet ihren Weg natürlich auch zu . Dort muss sie später für alle möglichen Begründungen von dessen „Einzeltäterschaft“ herhalten; sie bildet einen wahren Fundus der Verdachtsmomente und erfüllt ihre Funktion. Die angebliche Auflage von 93 Stück (vermerkt am Einband) erscheint der Zahl nach merkwürdig; und tatsächlich, der Verfasser der Broschüre warnt den Verfassungsschutz, er würde niemals alle Empfänger ermitteln können. Rat unter Kollegen, denkt der Laie, man schaut nicht gern zu, wenn der Kollege überflüssige Arbeit macht.

Ein sicheres Merkmal für die geheimdienstliche Urheberschaft provokativer Schriftsätze, die zur Kompromittierung ganzer Milieus im Kontext staatlich induzierter Verbrechen eingesetzt werden, ist weiter die Freiheit des Autors, seine persönlichen Komplexe im Text voll auszuleben. Jeder normale Berufsverbrecher weiß, dass er sich so etwas nicht erlauben kann, weil er bei der Polizei persönlich bekannt ist. Dort sitzen Leute, die die besonderen Kennzeichen ihrer „Pappenheimer“ oftmals seit vielen Jahren kennen. Dennoch wird im provokatorischen Traktat der eigene Vogel hemmungslos zum Singen gebracht. So auch hier:


(Broschüre „Das Märchen vom bösen Wolf“, Seite 2)

Gut, mag der kundige Leser einwenden, auch mit einer durch Sprengunfälle verkrüppelten Hand kann man noch wertvolle Arbeit für den Geheimdienst machen. Viel ist da noch möglich, für den nationalen Kämpfer. Insbesondere auch pädagogische Arbeit, wobei freilich zu bedenken wäre, dass auch hier wenigstens im Ansatz Spuren so verwischt werden sollten, dass nicht jeder Depp vom BKA sie später entsprechend zuordnen kann.

Aber wir vergaßen – der Provokateur ist ja für die deutschen Sicherheitsbehörden nicht zugänglich. , professionelle Abdeckung und die Verpflichtungen der Justiz der BRD gegenüber den ausländischen Geheimdiensten schützen ihn zuverlässig. Sein Name , jeder Staatsanwalt hält das Maul, und wenn auch zehn Mal gegen ihn ausgesagt worden ist.


(Broschüre „Das Märchen vom bösen Wolf“, Seite 2)

Auch hier spricht der Autor nur von sich selber; vor der politischen Justiz wird nur er gerettet. Nur ihm wird der große Bruder helfen. Den anderen blüht ein Jahrzehnt der Haft, und dann Jahre der Zerstörung, der Versuch, irgendwie wieder ins Leben zurück zu kriechen. Sicher, auch die Dienste kämpfen gegen einander, und da kann es sogar ihm mal passieren, dass er in Haft geht.

Das Revierdenken der Geheimdienste, bereits zuvor als Merkmal der geheimdienstlichen Traktate angedeutet, geht im oben zu sehenden Auszug so weit, dass sogar die typischen Schulungsorte der sprengmeisterlichen Unterweisung genannt werden. Die — Nicht nur vor dem Werben von V-Leuten wird also gewarnt (siehe das zitierte Bekennerschreiben der BBA), auch die Orte, an denen nicht ausermittelbare pädagogische Aktivitäten der großen Bruderdienste stattfinden sollen, werden sauber angeführt.

(Thomas Richter ᛦ, genannt Corelli, 2010)

Bleibt noch der Ton der expertenhaften Unterweisung im geheimdienstlichen Traktat, den wir an dieser Stelle nicht näher durch Inhalte dokumentieren wollen. Es ist jener Ton des großen Bruders, der einen mit überlegenem, praktisch verwertbarem Wissen beeindrucken will. Wer das mag, kann sich durchlesen, die der Hallenser Agrammatiker und Legastheniker ins Netz gestellt hat. Auch seine Ratschläge führen den Leser weiter. Wenn auch nur ins nächste Zuchthaus.

Da Geheimdienste auch Vollidioten fangen wollen, enthalten geheimdienstliche Traktate immer auch besonders plumpe Fallen. Bei Corelli waren es die IP-Adressen der Leser seiner schrottigen Seite; 1980, in der Epoche von Golf 1 und Manta gab es noch kein Weltnetz, da arbeitete man mit physischen Adressen.


(Broschüre „Das Märchen vom bösen Wolf“, Seite 13)

Ach Gott. Der „anonyme“ Autor der Broschüre empfiehlt seinen Lesern, auf jeden Fall Fingerabdrücke zu vermeiden und spurenlose Zünder zu basteln. Aber West-Berliner Gefahrenstoffhandlungen, die in der Broschüre genannt werden, soll er aufsuchen. Auch die zersetzende geheimdienstliche Tätigkeit, mit der Massaker vorbereitet und abgesichert werden sollen, kann noch etwas Rührendes haben.

Wie alles im Leben. Wie im Märchen.