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Technik der Oktoberfestbombe: Blödeln statt Wissen

Zehlendorf, August 2015

Was man so hört, wurstelt sich die Faschingstruppe der SOKO 26, letzten Dezember gebildet mit dem Tarnauftrag der Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat, so durch, und zwar widerwillig. Sagen dürfen sie nichts, das hat noch der Herr Range verboten; also dürfen sie auch nicht die Erledigung jener Scheinspuren bekanntgeben, die als Vorwand für den politischen Gag der Wiederaufnahme gedient haben. Es ist ein Elend; erst zu Weihnachten wird man auf ein paar Seiten die Ergebnislosigkeit der einjährigen Tätigkeit, garniert mit ein paar mahnenden Politikerworten (Rechtsterror!) einräumen.

Da tut er mir fast leid, der Herr stellvertretende Leiter Siegel; er hätte doch etwas mit Musik machen sollen, zum Beispiel beim Grand Prix Eurovision de la…

Es wird halt genauso sein wie vor 35 Jahren, Blödeln statt Wissen. Blabla und dann ab in die Rente. Wie damals, am 3. November 1980, als der Generalbundesanwalt Rebmann der Regierung in einem Sachstandsbericht schreibt:

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(1 BJs 201/80 – 5, Sachstandsbericht vom 3.11. 1980, S. 3)

Den Sprengstoff hatte man also nicht ermittelt. Auch Jahre später war es angeblich noch nicht gelungen, herauszufinden, was da überhaupt zur Detonation gekommen ist. Der Schlussvermerk der SOKO aus dem Jahr 1981 sagt es uns auch nicht. Monatelange hochwissenschaftliche Untersuchungen erlaubten noch nicht einmal eine direkte Hypothese, die es in den Schlussvermerk geschafft hätte. Man spekuliert zunächst wieder bloß:

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(1 BJs 201/80 – 5, Schlussvermerk der SOKO Teresienwiese, 13.5. 1981, S. 37)

Die sonst mit Hypothesen nicht eben vorsichtigen Ermittler (man denke an Pfliegers Schwulenphantasie) äußern sich also nicht zum Sprengstoff. Aber doch wohl zum Zünder?

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(Sachstandsbericht vom 3.11. 1980, S. 4)

Gut, man konnte den Zünder nicht feststellen, aber im Ausschlussverfahren wurde doch deutlich, dass es nicht der Originalzünder der Granate gewesen sein konnte. Auch diese Erkenntnis änderte sich nicht bis zum Abschlussbericht.

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(Sachstandsbericht vom 3.11. 1980, S. 4)

Wir fassen zusammen: Der Generalbundesanwalt kennt trotz jahrelanger Ermittlungen den Sprengstoff nicht, der zur Detonation kam. Den Zünder kennt er auch nicht. Köhler starb am Tatort; dass er sich mit Funkfernzündungen beschäftigte, sagt daher gar nichts aus.

Selber ferngezündet wird er sie ja nicht haben, aus 20 Zentimeter Entfernung.

Was wusste man eigentlich, im Mai 1981? Hätte es TNT gewesen sein können, wie oben anklang? Oder war das auch wieder nur eine Finte, für die oberflächlichen Leser?

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(Schlussvermerk der SOKO Teresienwiese, 13.5. 1981, S. 37)

… vielleicht hatte ja die Gaschromatographie etwas ergeben?

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(Schlussvermerk der SOKO Teresienwiese, 13.5. 1981, S. 38)

Ja, sie hatte ergeben, dass es sich bei dem Sprengstoff nicht um TNT gehandelt hat. Angesichts der Menge an Schmauchantragungen an Köhlers Körper hätte man das feststellen können müssen (Blatt 553). Also auch kein TNT. Da war es egal, dass Köhler in seinen Notizen diverses juveniles Zeug zur Herstellung von TNT notiert hatte.

Wir fassen nochmals zusammen: Kein Wissen über den Zünder, kein positives Wissen über den Sprengstoff. Selbstlaborate und TNT konnte man dagegen ausschließen. Unbekannter, hoch brisanter Sprengstoff. Anleitungen zur Herstellung eines solchen mystischen Materials fanden sich bei Köhler keine.

Und am Eidechsenbrünnlein in Donaueschingen wird er den nicht gefunden haben, um ihn im Heizungskeller ohne Anleitung stark erhitzt in eine delaborierte Werfergranate zu gießen.

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(Gutachten 21-412/1-2-7101/80, S. 10, Phantombild des angeblichen Täters von der Wiesn. Köhler hatte zur Tatzeit kurze Haare)

Was macht man als Bundesanwaltschaft, wenn man einen solchen Kram unter die Leute bringen soll? Welche Beschäftigung sollen die Mitglieder der SOKO Teresienwiese in ihre Dienstpläne eintragen, wenn schon am 3. November 1980 klar ist, dass es nichts zu wissen gibt?

Den Naumann oder gleich die CIA verhören?

Ganz einfach: Man stellt die Detonation auf offenem Feld nach und erzählt über dutzende Seiten die Story von der nachgestellten Sprengung. Und das in einem Ton und in einer Wortwahl, dass der querlesende Politiker oder unterbezahlte Journalist, der das Blätter-Zeug in die Hände bekommt, beim überforderten und überheblichen Weiterblättern den Eindruck hat, er lese etwas über die originale Wiesn-Bombe.

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(Schlussvermerk der SOKO Teresienwiese, 13.5. 1981, S. 30)

So ein Schmu aber auch. Der „Originalbombenkörper“ ist natürlich der einer rekonstruierten oder museal aufgefundenen Granate, deren Gewicht man genau kennt. Man weiß zwar, dass auf der Wiesn kein TNT verwendet worden ist, bastelt aber damit die Phantasie-Doublette. Echt und Original, wie eine Weißwurst mit Wiesn-Plakette.

Man weiß zwar nichts über den Zünder, hat nicht einmal eine sachlich begründete Hypothese dazu aufstellen wollen oder können, lässt die Doublette aber mit Nitrozellulose hochgehen, und zwar über eine so genannte Leitfeuerzündung, mit der man TNT (das ja nicht zum Einsatz gekommen war) über eine einfache Zündschnur und eine Sprengkapsel zünden kann.

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(Schlussvermerk der SOKO Teresienwiese, 13.5. 1981, S. 44)

Gut, es wird der Fachausdruck „ausblasen“ verwendet; das ist aber auch das einzig fachlich Haltbare, was an dem oben zitierten Textabschnitt dran ist. Weil es der Köhler gewesen sein muss, war es eine Leitfeuerzündung, schließlich hatte er ja nur Zündschnüre; also war es dann im weiteren Nitrozellulose, mit der man das TNT (das ja nicht zum Einsatz gekommen war) zündete.

Wir fassen abermals zusammen: Über die Bombe weiß man offiziell nichts, außer das, was man ausschließen kann (Einsatz von TNT). Weil man bei Köhler Zündschnüre gefunden hat, stellt man die Zündung von TNT mittels Zündschnüren nach und schwindelt das in den Schlussvermerk. Wohl in der Hoffnung, dass die dümmsten und oberflächlichsten Leser etwas zu sagen haben in der BRD.

Zurück zu unseren Maulkorb-Freunden im Jahr 2015. Was macht die SOKO 26? Wenn sie nicht gerade über den Maulkorb jammert, der ihr die Veröffentlichung der Erledigung jener Spuren verbietet, mit der man ihre Tätigkeit legitimiert?

Blinde Kuh? Chaussy ärgern?

Der Siegel soll Karaoke machen, zusammen mit Weingarten und Vetter Ralph, unter nordkoreanischen Teenagern. Das wäre Kult.

 

4 Gedanken zu „Technik der Oktoberfestbombe: Blödeln statt Wissen“

  1. Mogadisch sagt:

    Ein Genuss, das zu lesen. Danke.

  2. Paule sagt:

    Sehr lesenswert !
    Dass man den Sprengstoff nicht verifizieren konnte (wollte), lässt mich spekulieren. War es original Granatenfüllung ?
    Ich halte ,nach wie vor, das Ereignis vom 22.Juni 1969 im Bahnhof Hannover-Linden für ein verunglücktes geplantes Unglück zur Beschaffung von Munition für Stay-Behind o. ähnl. Terrorbanden. Wieviel Granaten dort wirklich explodiert sind, wurde nicht nachgeprüft.
    Die Vorschriften für Bremsen (Bahnbremsenvorschrift 1967 § 23) macht ganz klar, wie die Bremsen zusammen wirken.
    Der selbe Zug ist kurz vor dem Unglück durch eine „defekte“ Bremse zum Stillstand gebracht worden. War das die Testfahrt für das Manipulieren der Bremsanlage ? Sollte meine Vermutung stimmen, so sind 12 Menschen (dolus direktus III; billigend in Kauf nehmen) ermordet worden.
    Im Archiv der Zeit gibt es einen interessanten Artikel dazu :
    http://www.zeit.de/1970/18/es-war-keine-sabotage

    Da waren die Meinungen schon konträr….

  3. Paule sagt:

    update zu meinem Kommentar :
    Zitat :“
    Mit derlei Bildern wurde die westdeutsche Öffentlichkeit nach der Katastrophe tagelang in die Irre geführt. Allenthalben meldeten Sprengstoffexperten und Zeitungen, wie harmlos doch jener Sprengstoff sei, der am

    * Umladen von Granaten aus nicht explodierten Waggons.

    Sonntagmorgen Menschen und Material zerfetzt hatte. Und stets war nur die Rede von der Substanz Trinitrotoluol (TNT), die man, so ein Sachverständiger am Unglücksort, „sogar in der Pfeife rauchen könnte“.

    Freilich, TNT läßt sich gefahrlos paffen oder aus dem Fenster werfen. Doch das besagt nichts über die Ursachen der Detonation. Denn in den Granaten befand sich in Wahrheit ein hochexplosives Gemisch: die „Composition b“. Und die wird bereits bei 225 Grad Celsius gefährlich.

    Das exakt ist — bei einer Aufheizgeschwindigkeit von zehn Grad pro Minute — die Verpuffungstemperatur des Sprengstoffgemischs, das aus 60 Prozent der empfindlichen Chemikalie Hexogen, 39 Prozent TNT und einem Prozent Wachs besteht.“
    Zitatende
    Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45549300.html

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