Was die Bundesregierung verheimlicht: Schutzwürdige Terroristen im Umfeld von Udo Albrecht
Sommer 1981, Ost-Berlin, Normannenstraße
Bei seinen Vernehmungen durch die Spezialisten der HA XXII des MfS gerät der BND-Spitzel und Hauptakteur der Oktoberfestintrige Udo Albrecht stellenweise unter Druck. Seine Erfindungen bezüglich einer „Wehrsportgruppe Ruhrgebiet“ muss er zurücknehmen, nachdem man ihm gegenläufige Materialien vorgehalten hat. Die Spezialisten der Stasi erkennen sehr schnell, dass Albrecht gezielt von den westlichen Geheimdiensten und der geheimdienstlich infiltrierten westdeutschen Presse zu einem bestimmten Zeitpunkt als gefährlicher Rechtsradikaler aufgebaut worden ist, obwohl er dazu keinen faktischen Anlass gegeben hat.
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(Auswertung einer Vernehmung Albrechts durch die HA XXII des MfS, 1981)
Man stellt im Besonderen fest, dass das Konstrukt einer „Wehrsportgruppe Ruhrgebiet“, ursprünglich scheinbar eine Erfindung Albrechts gegenüber dem MfS, auch eine Fiktion in der geheimdienstlich gesteuerten westdeutschen Presse ist. Damit ist Albrecht als Agent des BND enttarnt, zumal sogar eine Generalstaatsanwaltschaft die Hirngespinste der erfundenen Wehrsportgruppe aufgreift und dazu Scheinermittlungen durchführt. Im Herbst 1981 sollte die westdeutsche Presse dann von einem Prozess gegen die „Wehrsportgruppe Ruhrgebiet“ berichten, obwohl es einen solchen Prozess niemals gegeben hat.
Die Spezialisten in der Normannenstraße müssen aus diesen Dingen schließen, dass die BRD mit der fiktiven terroristischen „Wehrsportgruppe Ruhrgebiet“ eine kriminelle und politische Legitimation für ihren Agenten geschaffen hat. Offensichtlich soll Albrecht mit einer Legende ausgestattet werden, die ihn von jeglichem Spitzel-Verdacht befreit. Es verwundert die ostdeutschen Ermittler nicht, dass dabei die westdeutsche Presse, die westdeutsche Justiz und die westlichen Geheimdienste reibungslos und hoch kriminell zusammenspielen.
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(Auswertung einer Vernehmung Albrechts durch die HA XXII des MfS, 1981)
Stutzig geworden, untersucht man die Aktivitäten Albrechts während der 70er-Jahre, als er immer wieder westdeutsche und österreichische, aber auch Südtiroler Aktivisten, die scheinbar einen rechtsradikalen Hintergrund haben, für den Freiheitskampf im Libanon anzuwerben versucht hat. Immer wieder taucht bei diesen letztlich erfolglosen Anwerbeversuchen der Name eines hessischen Nazis auf, der noch Jahrzehnte später von der BStU geschwärzt werden sollte.
Der Name dieses schutzwürdigen Terroristen ist dem Autor dieses Berichts bekannt; allerdings will dieser Autor keine Kugel in den Kopf bekommen und wird diesen Namen, der sich als schwarzer Fleck durch die gesamten Aktenbestände zu Albrecht zieht, nicht nennen.
Ähnlich schutzwürdig erscheint der Name eines exilkroatischen Killers, den Albrecht offenkundig im Auftrag des BND (er nannte die PLO als Auftraggeber, aber es ist nicht einzusehen, warum die PLO Titos Auftragsmorde in Bayern durch rechtsradikale Observation vorbereiten helfen hätte sollen) vor seiner staatlichen Hinrichtung ausspionieren sollte. Die Spezialisten in der Normannenstraße schreiben diesen Namen hin, wir tun es hier lieber nicht.
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(Auswertung einer Vernehmung Albrechts durch die HA XXII des MfS, 1981)
Albrecht muss die PLO als Auftraggeber der Observation vorschützen, zumal man einen angeblichen Auftrag des jugoslawischen Geheimdienstes ohne weiteres überprüfen hätte können, dies bei der PLO aber angesichts von Albrechts damaliger Vertrauensstellung in Beirut wohl nicht möglich gewesen wäre.
Seine heiklen Aufgaben begreift Albrecht, wie die Stasi diesmal nicht ganz ohne Kopfschütteln zur Kenntnis genommen haben wird, aber auch als eine pädagogische Sendung. Ohne erkennbaren kriminellen oder politischen Sinn hebt dieser äußerlich als „Dr. Gärtner“ auftretende Schwerstkriminelle kleine Terrorzellen aus der Taufe und rekrutiert dazu munter unter westdeutschen kriminellen Nazis. Ausgestattet mit dem Nimbus des hundertprozentigen Staatsfeindes und Nazi führt Dr. Gärtner die scheinbar ahnungslosen Jungnationalen in die Welt der großen Hotels in Brüssel ein und veranstaltet nebenbei „Eignungstests“ für die Terror-Kandidaten.
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(Auswertung einer Vernehmung Albrechts durch die HA XXII des MfS, 1981)
Zu den Teilnehmern dieser „Lehrgänge“ gehört auch jener namentlich bekannte hessische Neonazi, dessen Namensschwärzung durch die Bundesrepublik noch im Jahr 2015 an dieser Stelle nicht durchkreuzt werden soll. Freilich wurde nicht nur der Lehrgang selbst durch einen Raubüberfall finanziert sondern auch die „Eignungstests“, die der BND-Agent durchführte, bestanden in schweren Verbrechen, insbesondere in Banküberfällen. Angaben zu anderen Testvarianten werden von der BStU noch im Jahr 2015 geschwärzt, was angesichts der Unzahl an unaufgeklärten, kaum rein kriminell motivierten Verbrechen in Belgien um 1980 seinen Grund haben wird.
Nicht überliefert ist der Gesichtsausdruck des Auswertungs-Spezialisten der Stasi, als dieser im Verlauf seiner Analysen bemerken muss, dass Albrecht nicht etwa von der westdeutschen Polizei gebremst wurde, wenn er den Bogen überspannte oder in seinen Missionen versagte sondern von seltsamen, dem MfS wohlbekannten Bürgern der BRD mit Wohnsitz in Brüssel.
Wildfremde westdeutsche Personen, so Albrecht in seiner Vernehmung, hätten sich als Vertreter irgendwelcher Wirtschaftsorganisationen ausgegeben und ihn um Informationen zur PLO gebeten.
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(Auswertung einer Vernehmung Albrechts durch die HA XXII des MfS, 1981)
Es ist natürlich davon auszugehen, dass der Name dieses Mannes, bei dem es sich offenkundig um den Brüsseler Chef von Albrecht handelt, nicht dessen richtiger Name ist; damit ihm die Stasi aber nicht vorhalten kann, er habe geflunkert, nennt ihn Albrecht, ganz risikolos. Schließlich steht er in den Gerichtsakten, die die Stasi ohne weiteres beschaffen kann.
Was der Analytiker der Stasi ebenfalls weiß und bedenkt, während er seinen Mokka-Fix schlürft, ist eine bemerkenswerte zeitliche Koinzidenz: Der Mann sei im Januar 1980 an ihn herangetreten, genau zu jenem Zeitpunkt, als Hoffmann für das Libanon-Projekt gewonnen werden sollte. Als das Terror-Projekt gescheitert war und Hoffmann sich nicht verdrängen oder zum Terroristen machen hat lassen, nämlich Ende August 1980, und Albrecht seine Schuldigkeit, wie und wo auch immer, getan hat, wird er auf Veranlassung des Brüsseler Wirtschaftstreibenden wieder in Haft gesetzt.
Die Verhaftung des BND-Agenten erfolgte in Dortmund, am 28. August 1980, einen Monat vor dem Oktoberfest-Attentat. Wer in Haft sitzt, gerät nicht in Verdacht. Und der BND ließ Albrecht ein knappes Jahr später in die DDR, und ins offene Messer der PLO, laufen.
Warum auch immer. Die Bundesregierung wird es wissen.
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